
Der Narrenturm

Ob skurril, berührend, bedeutend oder einfach kurios – Im Museum erzählt die Geschichten hinter Ausstellungsstücken aus Museen in ganz Österreich und darüber hinaus. Wir sprechen mit Kurator:innen, Forscher:innen, Sammler:innen – und manchmal direkt mit den Objekten selbst.
Mal geht es um Arbeitshosen, Bidets, Orakelfragen oder Haifischzähne. Mal um große Namen und kunsthistorische Meisterwerke. Dabei sind unsere Formate sind so vielfältig wie die Museen selbst:
🎧 Objekte – kurze Episoden mit einem klaren Fokus auf ein einzelnes Ausstellungsstück
🎧 Im Museum mit… – persönliche Rundgänge mit spannenden Menschen durch ein Museum
🎧 Reportagen & Features – tiefere Einblicke in Ausstellungen, Themenwochen und Institutionen
Im Museum bringt Kunst, Kultur und Geschichte dorthin, wo du gerade bist – auf dem Sofa, in der U-Bahn oder beim Spazierengehen.
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Getrocknete Aneurysmen und kaiserliche Eigenheiten
Heute gibt es eine Reportage für euch! Wir besuchen den Narrenturm in Wien. Der Narrenturm wurde 1784 als erste Psychiatrische Anstalt Kontinentaleuropas eröffnet und beherbergt heute die mit rund 50.000 Exponaten größte pathologisch-anatomische Sammlung der Welt. Eduard Winter, der Leiter dieser Sammlung, führt uns vom Dachboden in den Keller. Vorbei an menschlichen Organen in Formaldehyd und aufgespannten Hautkrankheiten. Dabei erzählt er uns auch das ein oder andere Schmankerl!
Wer ein Ticket für eine Sonderführung mit Eduard Winter gewinnen möchte, kann sich auf www.immuseum.at für unseren Newsletter anmelden!
Für Feedback und Empfehlungen jeglicher Art könnt ihr uns einfach ein Mail schicken: fanpost@immuseum.at
Den Narrenturm findet ihr hier:
https://www.nhm-wien.ac.at/forschung/anthropologie/pathologisch-anatomische_sammlung_im_narrenturm

Der Narrenturm ist ein geheimnisumwobener Rundbau mitten in Wien, den schon seit seiner Erbauung im Jahr 1784 der Grusel umweht. Unter Kaiser Joseph II. als eine der ersten Anstalten für psychisch kranke Menschen in Europa errichtet, hat sich dieses Haus vom „Verwahrturm“ zu einem einzigartigen Ort medizinischer Schau gewandelt. Heute beherbergt der Narrenturm die pathologisch-anatomische Sammlung des Naturhistorischen Museums Wien mit tausenden Humanpräparaten, die von seltenen Krankheiten und Missbildungen erzählen.
Organe, Skelette, Präparate in Formaldehyd – teils getrocknet, teils konserviert – reihen sich in den Räumen auf. Hier begegnen einem vergrößerte Herzen, gewaltige Aneurysmen und Wachsabdrücke längst verstorbener Patienten. Doch von schauriger Schaulust will Sammlungsleiter Eduard Winter nichts wissen: „Hier geht es um die Krankheiten, nicht um die Präparate“, betont er. Das Wissen, das hier gesammelt wurde, diente Mediziner*innen über Generationen – lange bevor es Röntgenbilder oder Fotografie gab. Die Sammlung ist ein Zeugnis der medizinischen Entwicklung und der unzähligen Versuche, die menschliche Anatomie zu verstehen und Krankheiten zu behandeln. Diese Sammlung existiert nicht, um zu schockieren, sondern um medizinisches Wissen weiterzugeben.

Als eine der ersten Anstalten für psychisch kranke Menschen in Europa errichtet, wurde der Turm bewusst als eigenes Gebäude fern vom allgemeinen Krankenhaus angelegt – mit 28 runden Räumen pro Stockwerk, eine ungewöhnliche Bauweise. Einige Historiker*innen vermuten, dass die 28 Räume in Anlehnung an einen Mondkalender gestaltet wurden, da Geisteskrankheiten früher häufig mit den Mondphasen in Verbindung gebracht wurden. Oder vielleicht wollte der Kaiser einfach keine Ecken, in denen sich Dreck ansammeln konnte – wie Sammlungsleiter Winter gerne scherzt. Genau weiß man das nicht.
Der Turm gilt als Symbol des aufgeklärten Absolutismus, der sich bemühte, die Versorgung psychisch Kranker zu verbessern. Joseph II. wollte mit diesem Bau einen Fortschritt in deren Behandlung erreichen, also ihr Recht auf Therapie anerkennen. Wobei das Wort „Therapie“ hinsichtlich der Methoden des 18. Jahrhunderts heute wohl eher unangebracht ist.
Während der Zeit als psychiatrische Anstalt war der Narrenturm oft überfüllt, und die Behandlungsmethoden entsprachen den damaligen wissenschaftlichen Vorstellungen, die aus heutiger Sicht grausam erscheinen. Es wurde versucht, die sogenannte „Vier-Säfte-Lehre“ in der Behandlung anzuwenden, indem man durch Aderlass und andere Methoden das Gleichgewicht der Körpersäfte wiederherstellen wollte. Was zu jener Zeit den Versuch darstellte, eine fundierte Heilmethode zu etablieren – verglichen mit den Methoden der vorangegangenen Jahrhunderte eine tatsächliche Verbesserung.
Die Bauweise des Turms war dann seinem schnellen Ende als Anstalt geschuldet: Die Wege waren zu weit für das Pflegepersonal, und die Kontrolle über die Patienten war erschwert. Bereits nach knapp 70 Jahren wurde der Narrenturm als Anstalt geschlossen, und es dauerte fast hundert Jahre, bis er als Museum wiedereröffnet wurde.