Turmbau zu Babel
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Hybris, Zwiebeln und ein Turm, der niemals fertig wird
Es gibt Bilder, die hängen an der Wand, und dann gibt es Bilder, die unser ganzes Denken anregen. Der „Turmbau zu Babel“ von Pieter Bruegel dem Älteren gehört eindeutig zur zweiten Kategorie. Dieses Meisterwerk ist kein gemütlicher Sonntagsspaziergang in die Kunstgeschichte – es ist eine Wanderung über bröckelige Stufen, vorbei an Menschen, die sich auf dem Weg nach oben verirren, und mitten hinein in eine Lektion über menschliche Überheblichkeit. Schauen wir uns den Turm an: monumental, windschief, von Wolken umzingelt. Er wirkt, als würde er gleich umfallen, und das hat nichts mit einem statischen Fehler zu tun. Bruegel hat die Neigung bewusst eingefügt, wie Daniel Uchtmann, Kunsthistoriker im Kunsthistorischen Museum Wien, erklärt: „Er neigt sich etwas nach hinten links, als würde er bald auf die Stadt fallen können.“ Ein Symbol für das wackelige Fundament der Hybris: Menschen, die glauben, sie könnten den Himmel erreichen, ohne Rücksicht auf Verluste. Und Verluste, so zeigt das Bild, sind vorprogrammiert.
Detailversessenheit mit Humor
Das eigentlich Faszinierende ist jedoch nicht die Größe des Turms, sondern das, was in ihm und um ihn herum passiert. Bruegel hat alles voller Details gepackt, die von der Natur des Menschen erzählen. Da werden Steine gehauen, Straßen gebaut, und mitten im Chaos sitzt – kaum sichtbar – jemand, der, nun ja, die Natur walten lässt. „Ganz klein auf dem Bild, in der Mitte, sitzt jemand in der Nähe eines Baches und lässt unter sich. Er scheißt, um genau zu sein,“ sagt Uchtmann.
Dieser winzige Moment zeigt, worum es Bruegel eigentlich geht: den Menschen in all seiner Großartigkeit und Kleinlichkeit darzustellen. Während wir himmelhohe Türme bauen, bleiben wir doch an die simpelsten Bedürfnisse gebunden. Der Mensch, so sagt uns Bruegel, kann die Natur nicht überlisten – weder die um ihn herum noch die in ihm selbst.
Architektur des Scheiterns
Noch absurder wird es, wenn man die Architektur des Turms genauer betrachtet. Die kreisrunden Eingänge führen alle ins Zentrum, wo sich die Wege immer weiter verengen, bis kein Platz mehr bleibt. „Bruegel denkt sich also eine Architektur aus, die von vornherein zum Scheitern verurteilt ist,“ erklärt Uchtmann. Selbst wenn man es bis ganz oben schafft, wartet dort kein Triumph, sondern ein Abgrund. Es ist, als würde Bruegel leise lachen, während er uns zeigt, dass all unsere Mühen ins Leere laufen.
Warum wir uns trotzdem vor das Bild stellen
Und doch ist der „Turmbau zu Babel“ kein zynisches Bild. Es zeigt nicht nur die Grenzen des Menschen, sondern auch seine unbändige Energie, seine Fähigkeit zu träumen, zu planen und – ja, zu scheitern. Es fordert uns auf, hinzuschauen, die Details zu entdecken und uns zu fragen: Was treibt uns an, immer weiter nach oben zu wollen? Ist es die Hoffnung, das Unmögliche zu erreichen, oder die Angst, unten zu bleiben?
Bruegels Bild ist eine Zwiebel aus Schichten – nicht nur architektonisch, sondern auch symbolisch. Es erzählt von Zeit, von Hybris und von der Sinnlosigkeit, die wir manchmal als Bedeutung verkaufen. Aber vor allem erinnert es uns daran, dass Kunst nicht immer Antworten liefern muss. Manchmal reicht es, wenn sie uns innehalten lässt. Denn wie Uchtmann sagt: „Ein gigantisches Bild, das zum Nachdenken anregt und vor allen Dingen zum langen, langen Anschauen.“