100 Missverständnisse über und unter Juden

“Der Ursprung dieser Ausstellung war ein Nachdenken über kitschiges Denken”, sagt Hannes Sulzenbacher, Chefkurator am Jüdischen Museum und Co-Kurator der Ausstellung 100 Missverständnisse über und unter Juden. Über das Sich-Schön-Reden und ein verklärtes Sich-Schön-Machen-Wollen der Welt. Und das sei etwas, das gerade im Zusammenhang mit Juden und Jüdinnen immer wieder passiere. Denn: „Das begegnet einem immer wieder, dass völlig stinknormale Dinge aus unserem Alltag völlig überbewertet und schön gefärbt werden, dass man sagt: Das ist ja schon wieder stereotyp.“

Romantisierung könnte man diese gut gemeinte Stereotypisierung nennen und der Romantisierung widmen die Ausstellungsmacher:innen deshalb auch gleich einen ganzen Raum der Ausstellung. Man sieht und liest hier vom Jüdischen Schtetl, von der Vorstellung vom reinen und wahren Judentum, aber auch von der Vorstellung, dass alle Juden große Denker seien.

Dieser wohlwollende, romantische Blick auf Juden und Jüdinnen und das Judentum an sich, der ist allerdings nicht ausschließlich ein Missverständnis über Juden, sondern auch unter Juden. Denn auf der Suche nach 100 Missverständnissen über und unter Juden hat sich das Jüdische Museum selbst nicht ausgenommen und nach Objekten gesucht, die genau in diese gleiche Falle tappen.

© Foto: The Jewish Museum, NY/Rhonda Lieberman Cary Leibowitz

DIE ROMANTISCHE BRILLE IN DER MUSEUMSARBEIT

„Wenn man eine Ausstellung machen will, wo ganz viele Leute kommen, mache ich eine über das versunkene jüdische Schtetl. Nur: Was tue ich da? Ich reproduziere ein Stereotyp. Und tue ich damit der Sache etwas Gutes?“ (Barbara Staudinger)

Das jüdische Museum als Institution ist auch nicht sicher vor dem Blick durch die romantische Brille. Ein solch ein Fall ist ein schöner, grüner, gußeisener Ofen mit einem großen Davidstern vorne drauf, der in der Ausstellung zu sehen ist und den das Museum selbst – im Glauben es handle sich um ein religiöses Zeichen auf dem Ofen – selbst schon ausgestellt hat. Dass ein Hexagramm allerdings nicht unbedingt ein Davidstern sein muss, das ist eines der vielen Missverständnisse, denen man hier selbst aufgesessen ist. Warum? Das verraten wir euch in Teil 1 unserer Reportage.

Um die Missverständnisse, bei denen es ein bisschen härter wird, geht es dann in Teil 2 der Reportage. Denn neben dem Kitsch und der Schönfärberei hat das Kurator:innenteam auch sehr viele Objekte versammelt, die nicht so einfach anzuschauen sind, wie ein alter, gußeisener Ofen.
Ein Video in dem Überlebende in Auschwitz tanzen, beispielsweise. Ein Kunstwerk bei dem in leuchtenden Lettern steht: Endsieger sind dennoch wir. Oder eine Dokumentation darüber, wie die Wachsfigur von Anne Frank geschminkt und bereit gemacht wird, als Selfie-Hintergrund für Besucher:innen zu dienen.

Wer sich durch dieses Lexikon an Missverständnissen wühlt, kommt immer wieder an den Punkt irgendwo abgeschreckt zu sein, wo anders laut auflachen zu wollen oder sich selbst im klischeehaften Denken zu ertappen. Dass das keine gefällige Ausstellung ist, ist klar. Aber damit wären wir wohl wieder am Anfang: beim Versuch nicht wieder neues kitischiges Denken und damit verbundene Missverständnisse zu produzieren.

Shownotes

© Foto: Arye Wachsmuth Aus der Rauminstallation Im Schatten der Verdrängung, Arye Wachsmuth und Sophie Lillie, 2021 im Rahmen der Ausstellung Dispossession im Künstlerhaus, 2021

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